Achtung, Berg

Wir brauchen zu allererst einmal Ruhe im Tal.

Wehe, wenn es idyllisch werden soll, und ein Auto oder ein Motorrad fährt vorbei. Oder ein Kind schreit nach seinem Spielzeug. Dann kann man die Idylle schon gleich wieder vergessen. So aber schaut man von einem anschmiegsamen Platz aus in eine bevorzugt weite und freundliche Landschaft, oder besser: in ein majestätisches Tal.

Solche Täler brauchen eine Vertikale, die sich gewaschen hat. Nur so nicken wir das ab. Dieses Aufragen darf nie alleine stehen. Hinter den sich auftürmenden Felsen muss sich eine zweite oder gar dritte Bergkette andeuten, die mit zunehmender Entfernung verblaut und - idealiter - in noch höheren Gipfeln mündet. Einerlei wo man nun genau steht: Ein paar Blumen im Umfeld sollten es sein. Der Jahreszeit gemässe. Nicht in Kübeln oder Sträussen, aber gepflegt am Aufblühen. So etwas kann nur auf Wiesen überzeugen. Möglichst nahe bei seltenen Laubbäumen sollten die wachsen. Und jedes Gebäude dahinter hat nahe bei einem Bach zu stehen, mindestens einhundert Jahre alt zu sein. Aber in tadellosem Zustand. Die Zeit der gezielten Ruinenbauten ist einfach vorüber. Da kräht heute kein Hahn mehr danach. Tiere? Gerne, aber nur im sinnvollen Rahmen eines dann und wann stattfindenden Zwitscherns oder Krähens. Alles was nicht bei drei auf dem Baum sein kann, findet höchstens seinen Eingang in die Verköstigung des Restaurants, welches in angenehmer Spaziernähe zu finden ist. Aber ausser Sicht. Der Geruch von Bratenfett soll den Landschaftsgenuss nicht unterminieren.

Losgehen kann es jetzt. Der Blick schweift über die umstehenden Hügel und Berge. Dazu steht man ebenfalls. Sitzen geht gar nicht. Und in der Stille eines umherschweifenden Blickes dulden wir vielleicht eine einzige arrivierte Droge. Zigarre bevorzugt. So steht der Gast also am Rande der Idylle und wartet auf leise, musikalische Untermalung. Jodeln. Es darf auch ein verhalltes Juchzen sein. Hauptsache von fern. In der Nähe soll uns nur ein Schweigen umfangen. Die Idylle erträgt eine vorbei summende Biene, aber keine passierende Rentnergruppe mit schlechten Scherzen. Der hörbar idyllische Dialekt der Einheimischen ist in kurzen, knappen Einwürfen erwünscht. Wolkenloser Himmel? Ganz grosses Kino. Am liebsten noch an einem Morgen. Sollte klar gehen.

Wir wiederholen also.

Sonnenmorgen, Kinder und Rentner aus dem Bild und Schnauze. Zigarre vor dem Bach im Biotop stehend. Dann lässt sich die majestätische Landschaft gut an. Weiche Landschaft geht auch, sie muss aber gipfeln.

Den Genuss einer richtigen Idylle arbeitet der Kenner ein bis zwei Vorabende lang durch. Er studiert eifrig in grossen Bildbänden anerkannte Werke von Idyllenmalern. Wohlgemerkt: Nur Landschaftsidylle. Koch oder Friedrich. Turner nur mit grossen Abstrichen. Er hat sich noch einmal einen Heimatfilm fast bis zum Ende angesehen. Und dann ist er gerüstet und atmet frei im Anblick des Tatsächlichen durch. Er denkt an nichts. Endlich. Minutenlang.

Dann wundert er sich, dass er hier kein Wochenendhaus hat. Er ruft einen Makler an und lässt schon einmal Baugrund kaufen. Genau da, wo er das freie Feld genossen hat. Der Kenner zerstört seinen eigenen Genuss, indem er ihn mit einem Eigenheim samt Hypothek versieht.

So geht das.

 

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